MUSEUM FERDINANDEUM
Gabriele Sturm
The Taste of Paradise
Februar / März 2014
Die kostbaren Federn des Paradiesvogels kannte Gabriele Sturm lange nur als Hutschmuck. Deren natürliche Träger waren ihr, bis sie 2009 einen Paradiesvogel im Museum der Handelsstadt Bremen entdeckte, unbekannt. Ausgehend von der Problematik des Handels, begab sich die Künstlerin auf die Spuren der komplexen Zusammenhänge dieser prächtigen Vogelart. Sie verfolgte die historische Handelskette des Vogels bis an das andere Ende: die Herkunftsregion Papua Neuguinea. Dabei entdeckte sie ein vielschichtiges Themengebiet: Vogelkunde, Kunst, Mode, Geschichte, Soziologie, Wirtschaft und Politik bilden den Referenzrahmen, der von den historischen Extravaganzen des Renaissance-Zeitalters bis hin zur gegenwärtigen Tierquälerei reicht.
Gabriele Sturm bedient sich kulturwissenschaftlichem Material als Ausgangspunkt für ihre künstlerische Auseinandersetzung. Sie entzieht diesen dokumentarischen angelegten Objekte ihren Originalkontext und setzt sie wieder zu einem neuen Ganzen zusammen – wie in einer Collage. Dieser neu geschaffene Zusammenhang hat eine offene Struktur: Einzelne Objekte werden möglichst sachlich präsentiert, um den Betrachter mit der Frage nach der (subjektiven) Kontextualisierung zu konfrontieren. Der eigene Wissenstand gemischt mit einer guten Portion Fantasie ergibt eine imaginierte Dokumentation. Gabriele Sturm lädt den Betrachter dazu ein, einen eigenen Kontext für die Objekte zu schaffen. Dadurch erschließt sich bei jedem Besuch die dynamische Collage neu.
Als „Rohstoff“ verwendet Gabriele Sturm verschiedenste Zeugnisse. Manche sammelte sie in Papua Neuguinea, andere haben eine historische Herkunft. Einige davon werden in der Ausstellung „Paradiesvögel“ im Museum im Zeughaus in einem kulturwissenschaftlichen Kontext als tatsächlich dokumentarische Objekte gezeigt – wie etwa der „österreichische“ Blauparadiesvogel. Gabriele Sturm hat ihre Präsentation als Antwort auf die Ausstellung im Zeughaus konzipiert. Im Zentrum des Projekts steht ihre Begegnung mit dem Ornithologen und Tier-Präparator der Tiroler Landesmuseen, Peter Morass. So zum Beispiel hat sie Präparate aus den Sammlungen der Landesmuseen in ihrer Installation integriert. Als Zeugnis dieser gegenseitigen Befruchtung ist hier ein Dialog zwischen der Künstlerin und dem Naturwissenschaftler zu lesen.
Dr. Helena Perena, Jän. 2014
GALERIE IM TAXISPALAIS INNSBRUCK
Welten im
Widerspruch
–—
Zonen der
Globalisierung
23. Mai – 2. August 2015
https://www.galerieimtaxispalais.at/programm/archiv/archiv-detail/ausstellung/78/
GABRIELE STURM
Gabriele Sturm verbindet in ihrer künstlerischen Arbeit den Mikrokosmos des Individuellen, Privaten mit dem gesellschaftlichen Makrokosmos der uns umgebenden Welt. Anhand alltäglicher Dinge, wie der Tomate in ihrer Küche, untersucht sie deren formalen, kulturellen, ökonomischen, politischen und historischen Hintergrund: Wo kommt die Tomate her? Welche wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen stehen hinter dem Warenfluss? Sturm erforscht globale Zusammenhänge, die unsichtbaren Netze, die sich von ihren privaten Räumen aus bis zu den anonymen globalen Playern des Marktes zurückverfolgen lassen.
Wie weit ist weit? Der Maßstab des eigenen Erlebens, 2006/2007
1-Kanal-Videoinstallation, Video, Farbe, Ton, 108:30 min
In ihrer Videoarbeit Wie weit ist weit? Der Maßstab des eigenen Erlebens fährt Sturm in einem LKW mit 20 Tonnen Tomaten von Antalya in der Türkei bis zum Großgrünmarkt in Wien mit. Während des 3.000 Kilometer-Roadtripskommuniziert sie mittels laufend versandter SMS-Berichte diese ‚Zuliefer‘- und Parallelwelt des Konsums. Die Narration der SMS-Nachrichten bildet die formale Struktur des Videos, der wiederkehrende piepende Ton des Handys ist die einzig signifikante Unterbrechung der Motorengeräusche.
Toptom / Promise / Rembrandt / Red Ball / Jackpot / Cleopatra / Yellow Lions / Diana / Victory / Doctor Pomidor ... (... 190 more), 1992–2015
Tomatenkisten aus dem Handel
Maße variabel
In engem Zusammenhang mit dem Video steht Sturms über Jahre angelegtes Archiv industriell genutzter Tomatenschachteln. Sie tragen Informationen wie die Qualitätsklasse der Tomaten, Handlungsanweisungen für die sachgerechte Behandlung während des Transports und der Lagerung sowie die Sprache des Bestimmungsortes. Die Kisten in der Sammlung werden so zu Trägern des kulturellen Gedächtnisses über die Tomate als Ware.
Paradeiser aus nächster Nähe, 2006/2007 "UN/FAIR TRADE" Neue Galerie Graz , 2015 Galerie im Taxispalais
Mischtechnik auf Papier, Karton, Holz
Maße variabel
In einer subversiven Geste schmuggelt Sturm Tomatenkisten, die sie für regionale Kleinbetriebe und in enger Absprache mit diesen gestaltet hat, in die ausgestellte Sammlung ein. Indem die Produzenten darin ihre Tomaten auf den Märkten anbieten, gelangen diese Kisten gleichzeitig auch in den Handel. Damit entwickelt Sturm eine persönliche Form eines kritisch reflektierten Konsums. Die enge Verknüpfung von Kunstwerk und Gebrauchsobjekt ist ein zentraler Teil des künstlerischen Konzeptes. Daher sind in der Installation in der Galerie im Taxispalais einige ältere der gestalteten Kisten zu sehen, vor allem aber mehrere neue, die für Bauern und Gärtnereien aus der Umgebung von Innsbruck geschaffen wurden und im Laufe des Ausstellungszeitraums nicht nur in der Galerie, sondern auch auf Innsbrucker Wochenmärkten zu finden sein werden.
Julia Brennacher, Lena Nievers, Jürgen Tabor, Galerie im Taxispalais Mai 2015
2010 WETTER
2030 STATION
Täglich mit den Nachrichten hören wir die Wettervorhersage.
Das Wetter und Klima hat nicht nur Einfluss auf unsere Befindlichkeit, es hat vor allem eine soziale und wirtschaftliche Dimension. Die in der Folge von Trockenheit, Überschwemmung, Hagel, Unwetter, usw. ausgebliebenen Ernten führ(t)en immer wieder zu Hungersnöten und waren Anlaß großer politisch-sozial-ökonomischer Umwälzungen.
Wir alle kennen verschiedenste Wetterphänomene aus persönlicher Erfahrung und verknüpfen Erinnerungen daran häufig mit nicht-meteorologischen Ereignissen. Den Abend vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges beispielsweise beschrieben manche als flammend roten Abendhimmel.
Das Wetter ist wie jedes nichtlineare System physikalisch unvorhersagbar und mathematisch unberechenbar. Wetterbeschreibungen bzw. -prognosen illustrieren in der (Science-)Fiction-Literatur den Grad des jeweils erreichten Fortschritts in wissenschaftlicher und technischer Hinsicht. In der Graphic Novel V for Vendetta (1982 ff.) schreibt Alan Moore gleich zu Beginn: „Wir schreiben den 5. November 1997 … Das Wetter wird bis sieben Minuten nach Mitternacht schön bleiben. Dann beginnt ein Schauer, der bis ein Uhr dreißig anhält … Die Temperatur wird in der Nacht zwischen 13 und 14 Grad Celsius schwanken.“
Die Daten, die wissenschaftlichen Teilerkenntnisse über diese komplexen Zusammenhänge werden uns via Medien zugespielt und massenmedial aufbereitet.
FACT / FICTION
Wie werden diese Informationen aufgenommen?
Welche Überlegungen resultieren bzw. welche Vorstellungen entwickeln sie/wir daraus?
Um Antworten und Statements auf die Fragen zu erhalten, wie diese Informationen „verdaut” werden, wie der/die Einzelne sie für sich begreift, habe ich ein Setting entwickelt, das „Ohren“ hat:
In diesem „Science Fiction Plot“ erzeugen die Fiktionen die `vorüber gehenden´ Wettermoderatoren/innen, welche die medienvermittelten Wetterdaten mit einer spontanen Improvisation in eine Moderation über das Wetter der Zukunft transformieren.
Die Wetterstation ist eine performative Installation, die die Möglichkeit eröffnet, eine Prognose der Wetterereignisse in der ferneren Zukunft verbal und gestisch zu artikulieren. Mittels einer minimalistisch ausgestatteten „Bühne“, die zwischen offener „Speaker’s Corner“ und geschlossenem TV-Wetterredaktions-Studio changiert
– der Zugang ist frei, den Hintergrund bildet ein Greenbox - Set up (die Blue Box wurde von der Greenbox abgelöst), die Aufnahme erfolgt durch eine Videokamera –,
sind die Passanten/innen eingeladen als „Wettermoderator/innen“ ihre Fiktion zum Wetter in 20 Jahren zu entwickeln und zu moderieren. Die Entscheidung der Besucher/innen erfolgt(e) spontan. Die aufgenommenen Beiträge zeigen ein kaleidoskopartiges Spektrum an Projektionsflächen.
Gabriele Sturm
„Bisher erwies die Wetterstation sich als interaktives und (insbesondere im Beisein der Künstlerin) effizientes Setting, das nicht allein eine rege Partizipation (und mit ihr ein breites Spektrum an „Antworten“) zeitigte, sondern sich zugleich als ein womöglich neuartiger Hybrid aus statischer Installation und interaktiver Performance erwies: insofern sich „performance art“ per definitionem erst in der Aufführung und in den Aktivitäten und dynamischen Prozessen zwischen Performer/in und Zuschauer/innen realisiert, ist die Wetterstation – soweit sich Gabriele Sturm selbst persönlich (als „Performerin“) einbringt – performance art. Dabei ist aber nicht sie die eigentlich agierende „Performerin“, sondern die Performance leistet das Publikum selbst, als dessen „Publikum“ – indem sie zuschauend und dokumentierend „agiert“ – Gabriele Sturm selbst fungiert. Dabei liefert sie nichts als das präzis gesetzte Setting und – wenn sie persönlich anwesend ist – die Kommunikation mit den Besucher/innen, die dann als eigentliche Performer/innen auftreten und dabei die Künstlerin als ihr „Publikum“ sehen, das die jeweilige „Sendung“ zugleich über das (imaginierte) Medium TV an eine breite, visuell wie auch physisch nicht wahrnehmbare Öffentlichkeit vermittelt.
Indem sich dadurch das „Publikum“ (i.s. die dann eigentlich Performierenden) nicht
auf eine zwangshafte Weise herausgefordert fühlt, an der Performance teilnehmen zu müssen, übernimmt es diese wie von selbst – allein der Lust folgend, sich selbst ohne Druck in Szene setzen zu können.“
Lucas Gehrmann, (2011, Kunsthalle Wien)